Es ist eine Binsenweisheit, dass gute Schlager Geschichten des Lebens erzählen. Am 5. Mai 1984 trat Mary für Deutschland mit dem Lied „Aufrecht gehen“ an. Und just am Morgen dieses Tages erfuhr sie, dass eine fremde Frau von ihrem damaligen Ehemann Werner Böhm schwanger war. Es ist von VOX ein geschickter Schachzug, genau diese Story noch mal als Neuigkeit zu „verkaufen“, denn:
Schon einmal hat sie diesen Sachverhalt erzählt. In Jan Feddersens Eurovisions-Chronik „Ein Lied kann eine Brücke sein“ hat Mary diese Geschichte erzählt. Sie erzählte in diesem absolut empfehlendwerten Buch: „Ich habe am Tag der deutschen Vorentscheidung zugeflüstert bekommen, mein Mann Werner Böhm habe mit einer anderen Frau ein Kind. Drei Stunden vor der Sendung. Dabei hat er mir vorher gesagt, die macht das weg. Und dann gab es das Kind doch. Ich hab‘ ja mit ihm einiges erlebt, aber das war mir neu. Zuerst hat er behauptet, er würde die Frau überhaupt nicht kennen, dann kannte er sie doch. Furchtbar.“
Dass Mary nur wenige Stunden später einen sensationellen Auftritt hinlegte mit einem Song, der genau ihre Situation beschrieb, zeigt, was für eine starke Persönlichkeit sie ist – auch wenn sie – authentisch wie sie ist – ihren Kummer im Interview, das in der Doku gezeigt wurde, nicht wirklich verbergen konnte.
Hammer-Versionen von Mary-Klassiker
In der „Sing meinen Song“-Show haben zuvor andere Interpreten Mary-Roos-Songs auf ihre Art und Weise interpretiert. Warum Rae Garvey aus „Aufrecht gehen“ überspitzt gesagt einen komplett anderen Song interpretiert hat – von Harmonien und Melodieführung ist nicht mehr viel übrig geblieben, das Original ist um Längen besser – auch wenn er anscheinend meint, der bessere Komponist zu sein – es bleibt sein Geheimnis. Ansonsten waren die Versionen wirklich berührend, einfühlsam, originell und einfach großartig – zumal sie live interpretiert wurden. Schon der Einstieg mit Judith Holofernes und ihrer tollen Version von „Geh nicht den Weg“ war großes Kino – toll!
Tolle Doku: „Die Mary-Roos-Story“
Die anschließende Doku „Mary-Roos-Story“ überzeugte auf ganzer Linie. Da stimmte einfach alles – Marys Karriere wurde kompetent umfassend geschildert. Die einmal mehr absolut überzeugende Moderatorin Jeannine Michaelsen befragte Mary interessiert, charmant und respetvoll. Marys herzzerreißende Menschlichkeit wurde insbesondere bei der Begegnung mit ihrem ersten Ehemann, Pierre Scardin, sichtbar – auch das war eine tolle Idee der für diese Doku zuständigen Redaktion. Erstaunlich: Das meiste Archivmaterial stammt von den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Immer wieder müssen es aber die „Privaten“ sein, die dieses hoch interessante Material dokumentarisch aufbereiten, was im Fall der Mary-Roos-Doku zum Glück ausgesprochen gut gelungen ist.